Karlsruher Stimmen I Demokratie und Menschenrechte im Gespräch

Hakim Ludin über trommelnde Frauen in alten Kulturen, Brücken bauen mit Musik und die Kraft von Rhythmen
Zur Person
Hakim Ludin ist Percussionist und ausgebildeter Orchestermusiker. Er wurde 1955 in Kabul (Afghanistan) geboren und ist 1975 zum Studium an der Karlsruher Musikhochschule nach Deutschland ausgewandert. Für seine besonderen Klänge und herausragenden Spieltechniken schätzen ihn internationale Jazz-, Pop- und Klassik-Größen, darunter Konstantin Wecker, Herbert Grönemeyer, Roger Willemsen, Peter Maffay und die Berliner Philharmoniker. Seine Arbeit wurde mit dem deutschen Jazzpreis ausgezeichnet.
Herr Ludin, ihr Leben wurde in einem Dokumentarfilm porträtiert, der demnächst bei den Karlsruher INDEPENDENT DAYS Premiere feiert. Was bedeutet Ihnen dieses Projekt?
Oliver Langewitz (Regisseur – Anm. d. Redaktion) und sein Team haben großartige Arbeit geleistet. Der Film zeigt meine Reise, meine Musik, mein Leben zwischen den Kulturen. Es geht darum, Menschen zu verbinden und Neugier zu wecken. Ich hoffe, dass er inspiriert und zum Nachdenken anregt.
Beginnen wir mit Ihrer Kindheit. Wie erlebten Sie das Aufwachsen in Afghanistan?
Ich erinnere mich gerne an die Vollmondnächte in Kabul, in denen die Frauen der Familie um meine Großmutter auf dem Dach unseres Hauses mit vielen Gästen und Trommelmusik gefeiert haben. Alle unsere Nachbarn kamen, die waren Hindus und Juden. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – trommelnde Frauen in Afghanistan. Gleichberechtigung hatte in den 70-er Jahren dort eine unglaubliche Kraft. So habe ich gelernt, was eigentlich eine Demokratie und das Zusammenleben darin ausmacht. Mein Vater sagte immer: „Wir leben in einem Rosengarten, in dem alle Farben ihren Platz haben.“
Ist ihre heutige Kunst rund um Trommeln und Rhythmen auch ein Tribut an diese Zeit?
Als ich nach Deutschland kam, habe ich immer von diesen Vollmondnächten geträumt. Und erst hier habe ich begonnen, mich näher mit der Rahmentrommel auseinanderzusetzen. Diese hat eine sehr alte Geschichte, man nennt sie auch die Urtrommel und schon vor tausenden von Jahren haben speziell Frauen in Kulturen wie Mesopotamien und Ägypten darauf Rhythmen entwickelt.
Die Rahmentrommel ist ein Symbol der Gleichberechtigung. Dass sie heute in Afghanistan verboten ist, macht mich unglaublich traurig. Ich unterstütze seit 30 Jahren den Afghanischen Frauenverein und erzähle bei jeder Veranstaltung die Geschichte der Vollmondnächte – um zu zeigen, dass Afghanistan einmal ein offenes Land war.
Wie blicken Sie zurzeit auf die Weltlage?
Ich sage immer, man soll seine inneren Werte nicht verraten. Das versuche ich als Mensch und Bürger in diesem Land. Wir sollten für die Demokratie kämpfen, sonst kommt die Diktatur.
Welche Rolle spielen Musik, Kunst und Kultur dabei?
Ich war mal eine Woche mit einem afrikanischen Djembe-Spieler unterwegs. Der konnte nur Französisch. Wir haben uns ohne Worte verstanden, allein durch die Musik. Ich habe alle meine Fertigkeiten durch Begegnungen erlernt. Auf Festivals und in Seminaren, in Karlsruhe und auf Reisen, mit internationalen Meistern, einfach immer im Austausch.
Eine Bekannte hat mich mal für einen Trommel-Workshop mit 80 Asylbewerbern nach Stuttgart eingeladen. Das waren rund 80 Prozent Afghanen, der Rest war aus Syrien und dem Irak. Wir haben fast sechs Stunden gemeinsam getrommelt. Danach haben mir die Ehrenamtlichen berichtet, wie glücklich das diese Menschen gemacht hat. Mit Musik können wir eben Brücken bauen. Musik löst Knoten, heilt. Musik prägt unser Zusammenleben und macht, dass Menschen zusammenkommen.
Müssten wir in unserer Gesellschaft also sozusagen wieder mehr Musik miteinander machen?
Exakt. Wir sprechen gerade über Milliarden für Militärausgaben. Ich frage mich: Haben wir nichts aus der Geschichte gelernt? Statt in Waffen sollten wir in Bildung, Kunst und Musik investieren. Sie sind die wahren Säulen der Demokratie. Gerade die junge Generation könnte davon profitieren.
Ich unterrichte seit 1980 an Schulen, in der musikalischen Früherziehung und an Universitäten. Ich habe dort zum Beispiel gelernt, dass man Geduld haben muss, besonders mit Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen. Viele davon haben ein Trauma. Mit Rhythmus können wir diese Menschen wieder aufwecken und ihnen eine Identität geben, da bin ich mir ganz sicher.
Was kann jeder Einzelne tun, um die Demokratie zu stärken?
Zuhören. Neugierig bleiben. Andere Kulturen nicht als Bedrohung sehen, sondern als Bereicherung. Demokratie lebt vom Austausch. Bei meinen Workshops sehe ich, dass es vielen Menschen derzeit nicht so gut geht. Wir reden dann miteinander und ich suche Rhythmen, die dafür sorgen, dass sie fröhlich nach Hause gehen.

Karlsruher Stimmen
Das Interview führte Luca Wernert im März 2025. In der Reihe Karlsruher Stimmen lässt das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte Karlsruhe Personen aus der Region zu Wort kommen, die aus einem ganz persönlichen Blickwinkel auf Demokratie und Menschenrechte schauen. Hier ist Platz für Meinungen und Diskussionen sind ausdrücklich erwünscht. Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner eint der gemeinsame Einsatz für unsere Demokratie und die unumstößlichen Menschenrechte.