Kraft aus Begegnungen

Karlsruher Stimmen I Demokratie und Menschenrechte im Gespräch

Amy Pollitz über Motivation am Montagmorgen, Willkommenskultur und Zweifel angesichts von Ungewissheit

Zur Person

Amy Pollitz (30 Jahre) ist 2. Vorsitzende des Vereins Debüt – transkulturelle Bildung, Beratung und Begegnung und arbeitet als Lehrkraft für Erstorientierungskurse in der Karlsruher Landeserstaufnahmeeinrichtung mit Asylbewerbern und Geflüchteten. Aufgewachsen ist Amy Pollitz in den Vereinigten Staaten.

Frau Pollitz, erinnern Sie sich an ihre erste Begegnung mit Geflüchteten in Deutschland?

Das war vor elf Jahren, ich kam für ein Auslandsjahr aus meiner Heimat Kalifornien nach Tübingen und wurde an einem Regionalbahnhof im Umland spätabends von zwei jungen Männern angesprochen. Sie haben Hilfe beim Kauf der richtigen Fahrkarte gebraucht. Wir haben uns kurz unterhalten – sie waren Geflüchtete aus Somalia auf dem Weg zurück in ihr „Camp“, also in die Aufnahmeeinrichtung. Ich denke manchmal noch an diese beiden Männer. Was wohl aus Ihnen geworden ist?

Sie sind selbst in Deutschland geboren, aber in den USA aufgewachsen. Wie hat das Ihren Blick auf Identität und Zugehörigkeit geprägt?

Ich bin zweisprachig in einem sehr weltoffenen Teil der USA aufgewachsen. Mein Umfeld war sehr multikulturell, meine beste Freundin war von den Philippinen. In San Francisco konnte ich während meiner Jugendzeit erleben, wie Vielfalt – kulturell, sprachlich, aber auch geschlechtlich und sexuell – zelebriert wurde. Nationalität habe ich dort nicht mit Ethnizität verbunden. Heute wird zunehmend darüber gestritten, wer zu den USA gehört und wer nicht, Menschen wird die Zugehörigkeit abgesprochen.

Was bedeutet Integration für Sie?

Für mich bedeutet Integration zuerst Teilhabe – gesellschaftlich, politisch, sozial, kulturell. Und Integration bedeutet Offenheit, sowohl von der Lokalbevölkerung als auch von zugewanderten oder geflüchteten Menschen. Das ist Voraussetzung für eine gute, gelungene Integration.

Schöne, blumige Worte – aber die Realität sieht doch anders aus, oder?

Diesem Widerspruch begegne ich jeden Tag. In der Landeserstaufnahmeeinrichtung arbeite ich mit Menschen, die nicht wissen, ob sie langfristig in Deutschland bleiben können. Sie sind mit ihrem Aufenthaltsstatus sehr eingeschränkt, sie können das Stadtgebiet ohne Genehmigung nicht verlassen und sind auch von der Gesellschaft allgemein isoliert, weil sie noch nicht so gut die Sprache beherrschen.

Wo ist die Willkommenskultur hin?

Wenn es diese einmal gab, dann wird sie aktuell vom Rechtsruck unserer Politik angegriffen. Die Bereitschaft, Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund zu unterstützen, ist definitiv gesunken.

Was lernt man über Demokratie, wenn man Ihren Job macht?

Man lernt, Demokratie wertzuschätzen, dass sie nicht selbstverständlich und ein Privileg ist.

In den Erstorientierungskursen, die ich unterrichte, gibt es ein Modul „Werte und Zusammenleben“. Dort behandeln wir unser Grundgesetz und die Grundrechte. Ich versuche diese während des gesamten Kurses sehr konkret sichtbar zu machen und zu leben. Wenn Teilnehmende im Unterricht mitbestimmen können, erhalte ich oft sehr positives Feedback. Sie fühlen sich dann respektiert und haben keine Angst Fragen zu stellen und ihre eigene Meinung auszudrücken. Demokratie lebt vom Dialog.

Was sind die drei größten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit mit Geflüchteten?

Das ist zunächst die Heterogenität der Gruppen, die ich unterrichte. Bei ganz unterschiedlichen Sprach- und Bildungsniveaus allen gerecht zu werden, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Dann wurde in den letzten Jahren die Finanzierung unserer Arbeit reduziert, was dazu führt, dass wir eigentlich zu wenig Kapazitäten haben, um zum Beispiel Erstorientierungskurse für alle durchzuführen. Und Drittens: den Rückhalt bei der Bevölkerung vor Ort erlebe ich in Karlsruhe als gut, das ist aber keinesfalls die Regel.

Was motiviert Sie an einem Montagmorgen, zur Arbeit zu gehen?

Es sind die Begegnungen und die Gespräche mit den Geflüchteten. Zu hören, was sie erreichen wollen und zu sehen, wie sie sich entwickeln. Ich habe noch Kontakt zu manchen ehemaligen Teilnehmenden aus den Kursen, die inzwischen arbeiten oder eine Ausbildung machen. Das inspiriert mich und gibt mir Kraft und Hoffnung.

Die Arbeit ist aber nicht immer einfach. Erst am Montagmorgen dieser Woche wurde ein Kursteilnehmer, der immer sehr gerne zum Unterricht kam, aufgrund der Dublin-III-Verordnung abgeschoben. Das war ein harter Schlag für alle – viele fragten mich, warum sie angesichts solcher Ungewissheit überhaupt Deutsch lernen und sich engagieren sollten. In einer anschließenden Gruppendiskussion habe ich ihnen geraten, sich auf das zu konzentrieren, was sie selbst beeinflussen können, und nicht auf das, worauf sie keinen Einfluss haben.

Ich sagte: „Du kannst dein Deutsch verbessern, indem du einen Sprachkurs besuchst – so kommst du der Ausbildung oder der Arbeit näher und kannst vielleicht in einem Verein Mitglied werden und dort Freundschaften schließen. All das liegt in deiner Macht.“


Karlsruher Stimmen

Das Interview führte Luca Wernert im Mai 2025. In der Reihe Karlsruher Stimmen lässt das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte Karlsruhe Personen aus der Region zu Wort kommen, die aus einem ganz persönlichen Blickwinkel auf Demokratie und Menschenrechte schauen. Hier ist Platz für Meinungen und Diskussionen sind ausdrücklich erwünscht. Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner eint der gemeinsame Einsatz für unsere Demokratie und die unumstößlichen Menschenrechte.

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