Karlsruher Stimmen I Demokratie und Menschenrechte im Gespräch

Ulrike Seitz über das Engagement für Menschenrechte, Einsatz für Gefangene und ihre Schüler*innen
Zur Person
Ulrike Seitz ist Schulleiterin am Lessing-Gymnasium Karlsruhe. Sie studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Anglistik sowie Bildungsmanagement und war Gymnasiallehrerin, Fachberaterin und Lehrbeauftragte. Seit 1987 engagiert sie sich ehrenamtlich bei Amnesty International, heute als Gruppensprecherin in Karlsruhe.
Frau Seitz, was war Ihre Motivation, sich 1987 als junge Frau für Amnesty International und die Menschenrechte zu engagieren?
„Wenn eine einzelne Person protestiert, bewirkt das nur wenig, aber wenn es viele Leute gleichzeitig tun würden, könnte es einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.“
Peter Benenson, Begründer von Amnesty International
Die Idee, dass viele Menschen gemeinsam etwas verändern können, hat mich damals als Schülerin bewegt. Peter Benensons Idee sah konkret vor, dass, wenn eine Regierung waschkorbweise Briefe bekommt, die Öffentlichkeit aufmerksam auf den Gefangenen XY wird. Und tatsächlich führte das Engagement vieler Menschen immer wieder dazu, dass politische Gefangene freikamen, Folter gestoppt oder Todesurteile umgewandelt wurden.
Natürlich fragt man sich, wie viel der eigene Brief bewirkt hat, aber allein die Chance, dass man Menschen damit etwas Gutes tun kann, hat mich motiviert. Es gibt immer wieder Menschen, die gesagt haben, dass sie das Gefühl, nicht vergessen zu werden, durch die Zeit der Haft getragen hat.
Für mich war die Todesstrafe das zentrale Thema meines Engagements. Sie ist für mich die schlimmste und unmenschlichste Strafe überhaupt und durch nichts zu rechtfertigen. Beeindruckt hat mich auch, dass Amnesty unparteiisch agiert – es geht allein um die Menschenrechte.
Sie sind heute Gruppensprecherin der Amnesty-Gruppe in Karlsruhe und beschäftigen sich aktuell mit den gewaltlosen politischen Gefangenen in Sri Lanka und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wie suchen Sie sich die Themen aus, wofür Sie sich einsetzen?
Früher hatte jede Gruppe ihren Gefangenen, um den sich besonders gekümmert wurde. Inzwischen läuft die Amnesty-Arbeit mehr über Kampagnen zu verschiedenen Themen. Unsere Gruppe möchte sich auch weiterhin für einzelne Gefangene einsetzen. Zum Beispiel für einen Journalisten aus Sri Lanka, der wegen seiner Zeichnungen „verschwand“. Oder für Juristen in den Emiraten, die zu über zehn Jahre Haft verurteilt wurden, weil sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten. Wir versuchen, durch Briefe und Petitionen Öffentlichkeit zu schaffen.
Der Einsatz für Menschenrechte kann nur global gedacht werden. Momentan gehen die Tendenzen wieder sehr auf den nationalen Fokus. Nach dem Motto: „Was geht mich das an? Wir haben eigene Probleme.“ Wie nehmen Sie das wahr?
Was diese Selbstbezogenheit in Deutschland angeht, jammern wir auf einem extrem hohen Niveau. Natürlich geht es hier nicht allen Menschen gut und wir haben Probleme, aber wir können eigentlich so glücklich sein, dass wir seit Jahrzehnten in einer insgesamt sehr gut funktionierenden Demokratie leben. Auch als Lehrerin ist mir das immer wieder wichtig zu betonen, dass das nicht selbstverständlich ist. Dafür haben viele Menschen hart gearbeitet. Und deshalb halte ich es für bedenklich, wenn es nur darum geht: Wie ist mein eigener Wohlstand? Nimmt mir da vielleicht jemand, der zugewandert ist, etwas weg?
Würden Sie das Engagement für die Menschenrechte als Aktivismus bezeichnen – und sich selbst als Aktivistin?
Ich sehe den Begriff erst einmal als etwas Positives, würde mich aber selbst nicht so nennen, weil ich immer das Gefühl habe, ich könnte mehr tun. Ich schreibe Briefe, informiere mich, arbeite in der Gruppe – aber ich bringe mich nicht in Gefahr. In anderen Ländern riskieren Menschen viel mehr für die Demokratie und Menschenrechte, und das sind echte Aktivistinnen und Aktivisten in ganz positivem Sinne.
Wie hängen Demokratie und Menschenrechte zusammen und welchen Stellenwert haben die Menschenrechte in der Demokratie?
Ich glaube, dass nur in demokratischen Systemen Menschenrechte Geltung haben können. In jedem anderen System werden sie vernachlässigt, weil jemand bestimmt, was richtig oder falsch ist. Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind miteinander verbunden. Das eine geht nicht ohne das andere. Das ist in Artikel 20 unseres Grundgesetzes so festgelegt.
In unserer Verfassung stehen sie an erster Stelle: Haben Sie den Eindruck, dass die Menschenrechte auch in Deutschland bedroht sind?
Die Menschenrechte sind dazu da, vor der Gewalt des Staates zu schützen. Sie sind in erster Linie Abwehrrechte. Und da würde ich noch einmal betonen, da sind wir in Deutschland in einer äußerst privilegierten Situation. Es ist eben nicht so, dass bei uns staatlich sanktioniert wird, wenn man zum Beispiel seine Meinung äußert. „Man darf seine Meinung nicht mehr sagen“ halte ich für Quatsch, das stimmt nicht. Ich fühle mich eher bedroht, wenn Menschen von bestimmten Gruppierungen unter Druck gesetzt werden, weil sie differenziert argumentieren. Aber das geht nicht vom Staat aus.
Sie sind Schulleiterin am Karlsruher Lessing-Gymnasium. Interessieren sich die Schüler*innen für Menschenrechte?
Ja, auf jeden Fall. Natürlich finden nicht alle Jugendlichen das Thema spannend, aber viele zeigen Interesse und möchten sich einbringen. Das merkt man immer wieder, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt, zum Beispiel bei bei Juniorwahlen oder konkreten Mitbestimmungsprojekten.
Natürlich gibt es auch Bequemlichkeit, aber die Bereitschaft ist da. Das haben wir auch bei den Klimaaktivist*innen gesehen. Viele Jugendliche nehmen wahr, was um sie herum vorgeht. Manchmal habe ich die Sorge, dass sich dies auch schnell wieder erschöpft, wenn man merkt, dass etwas nicht vorangeht. Aber politische Prozesse sind nicht schnell. Oft dauert es lange, bis man etwas erreicht hat. Und das ist etwas, was man in der Schule mehr vermitteln muss: Dass es sich lohnt, dranzubleiben.
Aber wird sich vielleicht die Art und Weise, wie sich jetzt junge Menschen einsetzen im Vergleich zu früher, als Sie Schülerin waren, verändern?
Durch soziale Medien erreichen politische Themen heute andere Gruppen – das birgt Chancen, aber auch Risiken. Hier hat sich etwas geändert und die Politik und Politiker*innen müssen darauf reagieren. Ich glaube aber, die Grundhaltung zu den Fragen, was kann ich verändern, wie kann ich selbst mein Leben bestimmen und für andere etwas bewirken, die ändert sich nicht.

Karlsruher Stimmen
Das Interview führte Stefanie Wally im Juni 2025. In der Reihe Karlsruher Stimmen lässt das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte Karlsruhe Personen aus der Region zu Wort kommen, die aus einem ganz persönlichen Blickwinkel auf Demokratie und Menschenrechte schauen. Hier ist Platz für Meinungen und Diskussionen sind ausdrücklich erwünscht. Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner eint der gemeinsame Einsatz für unsere Demokratie und die unumstößlichen Menschenrechte.