Demokratie unter Druck

Ein intergenerationelles Streitgespräch anlässlich der Bundestagswahl mit Erhard Bechtold, Pfarrer, Lehrer und stellvertretender Dekan des Katholischen Dekanats Karlsruhe, sowie Felix (23), Student der Wissenschaftskommunikation am KIT und politisch engagierter Aktivist. 
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  • Erhard Bechtold ist Pfarrer und Lehrer. Felix ist ein Student. Beide sprechen über Demokratie und Politik.
  • Felix sagt: Ich mache auch Politik. Soziale Medien informieren mich. Und sie machen mir Mut, mich für die Demokratie einzusetzen.
  • Erhard sagt: Die Demokratie ist in Gefahr. Und man soll nicht mit der AfD zusammenarbeiten.
  • Beide sagen: Es gibt Probleme. Viele Menschen haben zu wenig Geld. Das macht den Populismus stark. Darum ist es wichtig, selbst Politik zu machen. Und es ist wichtig zu wählen. Die Menschen sollen zusammenhalten. Und alle sollen gut leben können.
  • Beide erkennen: Jeder hat eine Meinung. Aber es ist wichtig, miteinander zu reden. Und jede Meinung ist wichtig. Nur so funktioniert die Gesellschaft.

Zusammengefasst in einfacher Sprache durch die Lebenshilfe Karlsruhe, Ettlingen und Umgebung e.V.

Felix, du bist ja bereits aktiv im demokratischen Engagement. Was motiviert dich, dich für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen?

Felix: Ich bin in einem politischen Haushalt aufgewachsen und bezeichne mich selbst als Antifaschisten. Durch Social Media und Bewegungen wie Fridays for Future wurde ich auf viele globale Probleme aufmerksam, die mich dazu brachten, mich tiefer mit Alternativen und Lösungen auseinanderzusetzen. Mein Ziel ist es, im Wissenschaftsjournalismus zu arbeiten, um fundierte und gut recherchierte Informationen bereitzustellen.

Erhard, auch du setzt dich für demokratische Werte ein. Welche Schwerpunkte hat dein Engagement?

Erhard Bechtold: Ich bin in einem Dorf und mit christlichen Werten aufgewachsen und zu einem demokratischen Menschen erzogen worden. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich noch erlebe, dass die Demokratie infrage gestellt wird. Im Januar 2024 habe ich zum ersten Mal demonstriert und sogar auf einer Demo gesprochen – was ich mir vorher nicht hätte vorstellen können. Da habe ich gemerkt, dass wir das alles nicht für selbstverständlich nehmen können und wir uns für die Demokratie und unsere Freiheit einsetzen müssen.

Die Bundesrepublik diskutiert in diesen Tagen erhitzt über demokratische Mehrheiten und parlamentarische Zusammenarbeit mit der AfD. Seht ihr unsere Demokratie in Gefahr?

Felix: Ich habe das Gefühl, dass die Demokratie schon lange in Gefahr ist, auch wenn die bürgerliche Gesellschaft und die Parteien aus der Mitte dieses Problem erst seit Kurzem anerkennen.

Die aktuelle politische Lage ist kein Zufall, sondern das Ergebnis tiefer struktureller Probleme in unserem politischen und wirtschaftlichen System. Besonders die ungleiche Verteilung von Reichtum und eine rigide Sparpolitik haben dazu beigetragen, dass rechtsextreme Parteien erstarken – ein Zusammenhang, den auch Studien belegen.

Erhard Bechtold: Ich sehe die Demokratie zwar gefährdet, allerdings noch nicht existenziell in Gefahr. Wir leben in Karlsruhe in der „Stadt des Rechts“ und für mich ist das auch die Grundstimmung. Wir sind in einem Land und in einem System, da gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts. Ich glaube, dass wir trotz aller Schwierigkeiten sehr starke demokratische Institutionen haben.

Ich warne vor einer Zusammenarbeit mit der AfD. Die Katholische Kirche hat sich dazu klar positioniert. Für mich steht die „Brandmauer“ nach wie vor. Jetzt ist die Frage, wie muss Politik gemacht werden, dass die rechtsextremen Kräfte nicht gestärkt werden? Eine Frage, die nicht nur unser Land betrifft.

Was können wir gegen die zunehmende Demokratieskepsis tun?

Felix: Der Reichtum in Deutschland muss umverteilt werden. Menschen die prekarisiert werden und oder Angst vor sozialem Abstieg haben sind sehr anfällig für rechten Populismus. Die Rechten haben es geschafft, dass von Armut betroffene Menschen nicht nach oben zu den Superreichen schauen, sondern nach rechts und links. Treten tun sie nach unten – auf Menschen, die meistens zugezogen sind und noch weniger haben. Die Menschen haben kein Gefühl dafür, wo die eigentlichen Probleme liegen.

Erhard Bechtold: Ich möchte jedoch sagen, dass wir rechtsgerichtete Einstellungen und Populismus nicht einfach an Armut festmachen können. Ich bekomme häufig in Gesprächen mit, dass viele Menschen, denen es eigentlich gut geht, trotzdem extrem wählen. Ich glaube, dass wenn diese Leute genug Geld hätten, dass sie immer noch für den Populismus anfällig wären.

Und: Auch das Geld für die Sozialleistungen, die in der Bundesrepublik Deutschland angeboten werden, muss erwirtschaftet werden. Für sozialen Frieden braucht es eine starke Wirtschaft, denn ohne Unternehmen, die Gewinne machen, kann auch der Staat nicht sozial handeln.

Felix: Menschen aus allen sozialen Schichten sind stark von der Inflation betroffen und haben Angst, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtern könnte. Die Angst vor sozialem Abstieg reicht, um empfänglich für für rechten Populismus zu sein.

Erhard, du hast gesagt, die Kirche hat sich klar positioniert und hast auf die christlichen Werte verwiesen. Wie steht es denn heute um diese?

Erhard Bechtold: Für mich sind christliche Werte die Grundlage unserer ganzen Gesellschaft. Ich gehe noch weiter: Die Menschenrechte würde es ohne christliches Denken nicht geben. Die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten Werte stehen in jüdisch-christlicher Tradition. Für mich ist der politische Begriff der Solidarität im Wert der Nächstenliebe verwurzelt.

Felix: Diese Aussage finde ich schwierig. Ich würde nicht sagen, dass unser generelles Welt- und Menschenbild auf Religion zurückzuführen ist. Ich würde sogar behaupten, dass wir dieses trotz der Kirche habe. Gerade die Katholische Kirche hat ihre eigenen Werte mit Dingen wie den Missbrauchsskandalen selbst mit Füßen getreten.

Das hörst du sicher nicht zum ersten Mal Erhard, oder?

Erhard Bechtold: Ich möchte an dieser Stelle an dich plädieren, Felix, dass du die Kirche nicht nur unter dem Stichwort Missbrauch siehst und auch nicht nur mit ihren historisch sehr wohl zu kritisierenden Fehlern. Denn das, was die Kirche heute leistet, hat einen durch und durch sozialen Aspekt. Und diesen gibt es wirklich, seit es die Kirche gibt. Angefangen in den Klöstern bis zur Caritas hier in Karlsruhe. Dort machen wir nichts anderes, als Menschen zu helfen.

Mit dieser Kritik an der Kirche bist du wahrscheinlich nicht allein, Felix. Gleichzeitig gibt es häufig den Vorwurf, dass linke Bewegungen sehr strikt in ihren Überzeugungen sind und wenig Raum für andere Perspektiven lassen.

Felix: Ich kann diesen Vorwurf verstehen und würde zustimmen. Ich selbst versuche stets, mit unterschiedlichen Leuten und Meinungen in Kontakt zu kommen und das ist aus der linken „Blase“ teilweise schon schwer genug.

Ich glaube, dass die politische Linke versuchen sollte, nicht so exkludierend in der Sprache zu sein, die häufig auch von akademischen Fremdwörtern geprägt ist. Kurzum: Wir brauchen linke Politik für nicht linke Menschen. Es braucht antirassistische und antikapitalistische Politik, die sich beispielsweise für den sozialen Wohnungsbau einsetzt und Menschen dabei hilft, ihre Rechnungen zu zahlen, ohne das gesamte „linke Theoriepack“ direkt mitzuverkaufen.

Das Christentum und der Sozialismus teilen eine Verantwortung für soziale Gerechtigkeit – eine Aussage, der ihr offenbar zustimmt. Wie bringen wir Demokraten mit unterschiedlichen Ansichten wieder ins Gespräch, ohne in festen Lagern zu denken?

Felix: Das ist eine geniale, aber auch komplizierte Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Ich würde sagen, wir müssen den Antifaschismus repolitisieren und den Leuten bewusst machen, dass beispielsweise Migration nicht der Untergang des christlichen Abendlandes ist.

Linke Politik muss nicht unbedingt Labels wie Sozialismus tragen – es geht nicht nur um alte Theorien, sondern darum, Lösungen für aktuelle Probleme zu finden. Mir ist wichtiger, pragmatisch zu handeln, statt an Begriffen festzuhalten. Ich finde, wir benötigen eine positive Vision davon, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen kann. Damit müssen wir anfangen.

Erhard Bechtold: Auch ich habe meine Nähe zu den Linken, obwohl ich überhaupt kein Linker bin. Es ist mir ein Anliegen, mit Menschen zusammenzustehen, die sich für Menschen einsetzten. Wo Menschen verachtet werden, wo Menschen diskriminiert und ausgeschlossen werden, wo Menschen ihrer Menschenwürde beraubt werden oder vielleicht sogar als Untermensch erklärt werden, da gehe ich nicht mit. Auch bei den Linken nicht.

Wenn ihr den Lesern und Leserinnen unseres Gesprächs eine Sache mitgeben dürftet, was wäre das?

Felix: Ganz plump: Geht wählen. Und organisiert euch. Bildet Gemeinschaften, auch um die ganzen schlechten Nachrichten, die wir jeden Tag in den Medien sehen, nicht allein auszuhalten. Faschismus steht man besser gemeinsam durch, als alleine.

Erhard Bechtold: Da kann ich mich nur anschließen. Geht wählen, denn Wahlen sind etwas, wofür Menschen hart gekämpft haben – und in vielen Ländern der Welt noch gekämpft wird. Es ist ein Segen, dass wir in einem solchen System leben. Und ich plädiere sehr dafür, dass wir eine positive Grundeinstellung zu diesem Staat haben als einen freiheitlich-demokratischen. Dafür möchte ich einstehen, solange ich lebe.

Felix: Ich möchte eine Sache einwenden, zu der positiven Einstellung dem Staat gegenüber, von der du gerade gesprochen hast. Mein eigenes Vertrauen in staatliche Institutionen, zum Beispiel in die Polizei, ist in den letzten Jahren massiv geschwunden. Diese positive Einstellung haben zu können, zeugt oft leider auch von einer großen Privilegierung. Etwas, das Menschen, die strukturell benachteiligt werden, weniger haben.

Erhard Bechtold: Wer meinen würde, eine Demokratie sei eine perfekte Gesellschaft, der täuscht sich. Die Demokratie hat ganz viele Defizite. Die Demokratie ist nie fertig und es kann sich nicht auf ihr ausgeruht werden. Sie muss sich immer weiterentwickeln. Es sind Menschen, die diese demokratischen Institutionen repräsentieren und die sind fehlbar.

Nach unserem Streitgespräch: Mit welchem Bild des anderen geht ihr nach Hause?

Erhard Bechtold: Ich habe einen sehr sympathischen jungen Mann kennengelernt, der sich schon viele Gedanken gemacht hat. Felix, du beziehst eine Position, die nicht ideologisch verbohrt ist, sondern die immer die Sichtweise des anderen aufgreift. Das gefällt mir sehr gut. Solche Leute würde ich mir viele wünschen in unserem Land. Menschen, die so mitdenken und die nicht in allem zustimmen – wer kann das schon? Ich wünsche dir, dass du diese Wachheit in deinem Herzen behältst.

Felix: Ich habe gemerkt, dass ich mal wieder etwas aus meiner „Bubble“ herausgeholt wurde und empfand es als sehr interessant, mit dir, Erhard, zu sprechen und deine Ansätze zu verstehen. Ich glaube, dass wir uns wieder auf wichtige Grundfaktoren fokussieren müssen. Wir müssen als Gesellschaft neu zusammenfinden.

Interview & Redaktion: Marissa Krolo und Luca Wernert (Februar 2025)

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