Demokratie ist kein Lieferservice

Karlsruher Stimmen I Demokratie und Menschenrechte im Gespräch

Ahmad Harwanah über Überforderung mit Krisen, seine Einbürgerung und die Organisation von Demonstrationen gegen Menschenfeindlichkeit

Zur Person

Ahmad Hawarnah (24 Jahre) ist Mitinitiator von „Migrant*innen für Karlsruhe“, organisierte im Winter 2025 drei große Kundgebungen für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit auf dem Karlsruher Marktplatz und ist seit 2020 Mitglied im Integrationsausschuss der Stadt Karlsruhe. Nach seiner Flucht aus Syrien war er zunächst staatenlos und wurde 2023 schließlich deutscher Staatsbürger. Ahmad Hawarnah absolvierte eine Ausbildung zum Fachinformatiker und studiert gegenwärtig mit einem Stipendium der Hans-Böckeler-Stiftung Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Karlsruhe. Für sein Engagement rund um Integration und Demokratie wurde er 2025 mit dem Heinz-Kappes-Preis des Karlsruher Rotary-Clubs ausgezeichnet.

Herr Hawarnah, was hat Sie im Januar 2025 dazu gebracht, drei große Kundgebungen für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit auf dem Karlsruher Marktplatz zu organisieren?

Es gab zwei Ereignisse, die für mich das Fass zum Überlaufen gebracht haben: Zum einen die Tatsache, dass der Begriff „Remigration“ trotz der Massenproteste nach den Enthüllungen geheimer Treffen von AfD-Politikern mit Migrationsfeinden ins Wahlprogramm dieser Partei aufgenommen wurde. Und dann waren da diese Abschiebetickets, die Menschen mit Migrationsgeschichte in Karlsruhe in ihren Briefkästen fanden. Da war für mich klar: Ich muss raus aus meiner Bubble und auf die Straße gehen. Gemeinsam mit Kolleginnen aus dem Integrationsausschuss und vielen Engagierten aus Initiativen wie Fridays for Future oder der Seebrücke entstand so die erste Demonstration – unter dem Motto „Mit uns statt über uns“.

Die Resonanz war groß.

Ja, beim ersten Mal standen 5.000 Menschen auf dem Marktplatz. Später wurden es bei der zweiten Demo sogar 7.000. Wir haben eine Bewegung geschaffen, die Migrant*innen eine Stimme gibt. Bewusst haben wir bei der ersten Kundgebung nur Rednerinnen und Redner mit eigener Migrationserfahrung sprechen lassen. Es ging uns darum, Solidarität zu zeigen und Sichtbarkeit zu schaffen.

Sind Sie nach diesen Erfahrungen optimistischer geworden?

Ich habe gesehen: Die Mehrheit will keinen Rechtsruck. Viele Menschen sind einfach überfordert von Krisen – von Corona über den Ukrainekrieg bis hin zum Nahostkonflikt. In solchen Zeiten gewinnen politische Ränder. Wenn demokratische Parteien dann anfangen, die Sprache und Rezepte der Populisten zu übernehmen, bestätigen sie deren Agenda. Nötig wären stattdessen sachliche Lösungen und echte Beteiligung.

Sie selbst sind 2015 aus Syrien geflüchtet und waren bis 2023 staatenlos. Wie haben Sie Ihre Einbürgerung erlebt?

Das war für mich eine Bestätigung: Ich darf jetzt nicht nur hier leben, sondern auch mitbestimmen. Zum ersten Mal konnte ich frei wählen – bei der Europawahl. Ich bin ganz bewusst ins Wahllokal gegangen. Für viele ist das selbstverständlich, für mich war es ein Privileg.

Trotzdem zweifeln Sie manchmal, ob Sie wirklich Teil der Gesellschaft sind?

Ja, wenn ich die hitzigen und oft rassistischen Debatten über Migration verfolge, frage ich mich: Bin ich wirklich willkommen oder habe ich nur ein Stück Papier? Aber meine Antwort ist: Ja, ich bin Teil dieser Gesellschaft – und deshalb kämpfe ich für sie. Für mich bedeutet Heimat nicht Geografie, sondern Werte: Demokratie, Freiheit, Solidarität.

Sie sind Mitglied im Integrationsausschuss der Stadt Karlsruhe. Was bräuchte es aus Ihrer Sicht, um Demokratie zu stärken?

Mehr echte Partizipation. In Karlsruhe funktioniert das mit dem Integrationsausschuss schon gut. Aber wir brauchen solche Gremien auch auf Landes- und Bundesebene – und zwar sichtbar. Politik sollte Probleme nicht mit einfachen Antworten verkaufen, sondern ehrlich mit Komplexität umgehen. Sonst geht Vertrauen verloren.

Was treibt Sie in Ihrem Engagement an?

Ich sage immer: Demokratie ist kein Lieferservice. Wer Freiheit und Menschenrechte bewahren will, muss dafür etwas tun. Ich sehe mich als Brückenbauer – gerade, weil Demokratiefeinde das Thema Migration für ihre Hetze nutzen. Mit meiner Erfahrung will ich dazu beitragen, dass diese Gesellschaft zusammenhält.


Karlsruher Stimmen

Das Interview führte Luca Wernert im September 2025. In der Reihe Karlsruher Stimmen lässt das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte Karlsruhe Personen aus der Region zu Wort kommen, die aus einem ganz persönlichen Blickwinkel auf Demokratie und Menschenrechte schauen. Hier ist Platz für Meinungen und Diskussionen sind ausdrücklich erwünscht. Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner eint der gemeinsame Einsatz für unsere Demokratie und die unumstößlichen Menschenrechte

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