Karlsruher Stimmen I Demokratie und Menschenrechte im Gespräch

Prof. Dr. Frédéric Bußmann über die Verantwortung von Kulturinstitutionen, Kunst als Impulsgeber und Museen als Begegnungsräume.
Zur Person
Prof. Dr. Frédéric Bußmann ist seit dem 1. August 2023 Direktor der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Der promovierte Kunsthistoriker studierte Kunstgeschichte sowie Neuere und Neueste Geschichte in Berlin und Rom. Seit 2022 ist er Honorarprofessor der Hochschule für bildende Künste Dresden. Nach einer beruflichen Station an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen war er von 2011 bis 2018 als Kurator am Museum der Bildenden Künste Leipzig und bis 2023 als Generaldirektor der Kunstsammlungen Chemnitz tätig.
Herr Bußmann, warum engagiert sich die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe im Bündnis für Demokratie und Menschenrechte?
Museen sind steuerfinanzierte, gemeinwohlorientierte gesellschaftliche Akteure und sollten ihrer Verantwortung gerecht werden, für die grundlegenden Werte unseres Zusammenlebens in allen Bereichen einzustehen. Unser Grundgesetz gibt hier eine klare Orientierung. Und: Museen sind Kinder der Aufklärung, haben einen Bildungsauftrag und genießen hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Wir können Werte vermitteln und Dialogräume anbieten und aus der Vergangenheit lernend die Gegenwart mit den Menschen in der Stadt gestalten.
Die Kunsthalle Karlsruhe empfängt dabei ihren gesellschaftlichen Auftrag aus der eigenen Geschichte, denn wir haben unsere Wurzeln in aristokratischen Sammlungen der Markgrafen von Baden, die aber auch dem Gemeinwohl verpflichtet waren, wie Sie an unserer „Gründerin“ Karoline Luise von Baden sehen können. Sie sammelte nicht aus repräsentativen Gründen, sondern als praktizierende und gelehrte Künstlerin. Die auch zu Studienzwecken gesammelten Bilder machte sie nach ihrem Tod 1783 der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich – eine frühe Form der Volksbildung, damit sich die Menschen unabhängig von ihrem Stand selbstständig mit Kunst beschäftigen und auch selbst künstlerisch arbeiten können. Das ist ein zutiefst demokratischer Gedanke, und an dieser Tradition arbeiten wir weiter.
Wie verstehen Sie Demokratie?
Ich verstehe Demokratie nicht als Herrschaft der Mehrheit, sondern vor allem als Schutz der Minderheiten. Gerade auch in Karlsruhe, wo die bundesdeutsche Demokratie mit dem Bundesverfassungsgericht einen starken Verfechter der im Grundgesetz verankerten Schutzrechte gegen die Willkür der Mehrheit und der staatlichen Gewalt findet, sollten wir die grundgesetzliche Demokratie als Garant unserer Freiheit und Selbstbestimmung feiern und beschützen. Es geht darum, eine plurale Gesellschaft aktiv zu gestalten – eine Gesellschaft, in der Vielfalt und Toleranz möglich sind.
Demokratie bedeutet für mich nicht nur ein politisches System, sondern eine liberale, offene Gesellschaftsform, die sich von autoritären Strukturen unterscheidet. Deshalb ist es so wichtig, Demokratie nicht nur theoretisch zu diskutieren, sondern konkret erfahrbar zu machen. Das Gegenmodell erfahren wir im Augenblick weltweit, leider auch im Leitmodell des neuzeitlichen demokratischen Staates, den USA.
Welche Rolle spielen Begegnungsräume wie Museen für die Demokratie?
Gemeinschafts-, Dialog- und Diskursräume – auch kritische – sind essenziell. Als Institution und Teil der Zivilgesellschaft tragen wir die Verantwortung, eben nicht alles dem Staat oder der Stadt zu überlassen. Demokratie muss von jedem Einzelnen gelebt werden. Hier braucht es gegenseitiges Vertrauen und Respekt, egal woher wir kommen und wohin wir gehen. Wir sehen es in unserem Alltag und insbesondere in den sozialen Medien, wie schnell Diskussionen eskalieren. Doch das führt selten zu etwas Konstruktivem.
Viel wertvoller ist der direkte Austausch, miteinander ins Gespräch zu kommen – am besten an Orten wie dem Museum. Davon lebt unsere Gesellschaft. Es geht darum, nicht in Ohnmacht zu verfallen, sondern zu erkennen, dass jeder Einzelne in der Demokratie wirksam sein kann. Diese Erfahrung von Wirksamkeit stärkt auch die Resilienz.
Wie sieht das demokratische Engagement der Kunsthalle konkret aus?
Die Kunsthalle war bereits an Aktionen des Bündnisses für Demokratie und Menschenrechte beteiligt. Wir waren zum Beispiel im Rahmen der Langen Nacht der Demokratie 2024 mit einem Format in der Innenstadt präsent, bei dem es um das Streiten über Kunst und gesellschaftliche Themen ging. Wir haben dort inhaltliche Diskussionen zwischen Fremden angeregt und begleitet, bei denen man einige Minuten miteinander ins Gespräch kommen konnte, jenseits der eigenen Bubble und ohne sich zu kennen – auch kontrovers, aber stets zivilisiert, mit Achtung und Respekt für die Meinung des anderen.
Auch die Arbeit mit der Kunst im Museum ist aus meiner Sicht gemeinwohlorientiert. Kunst existiert nicht unabhängig von ihrem Entstehungskontext, sondern ist immer mit bestimmten Themen verbunden; und dies kann auch Fragen nach Macht und Diversität beinhalten, aber auch ethische Fragen aufwerfen. Und wir können über unsere Arbeit Selbstwirksamkeitserfahrungen, gerade bei jüngeren Menschen, anbieten und über die Kunst Impulse zur Reflexion und Dialogfähigkeit setzen. Das Museum ist ein Begegnungsort, und weil wir auch Schulklassen empfangen, ist es zum Beispiel möglich, dass Menschen, die sonst vielleicht nicht ins Museum gehen, sich mit einer Vielfalt an unterschiedlichen Themen auseinandersetzen und zugleich Gemeinsinn stiften.
Was muss die Zivilgesellschaft Ihrer Ansicht nach jetzt tun?
Ganz klar: Gemeinsam Haltung zeigen, antidemokratische Kräfte bekämpfen, Ambivalenzen aushalten, aber nicht beliebig werden – Stichwort: Toleranzparadoxon –, also offene Dialog- und Freiräume schaffen, die aber klare Werte vertreten und Grenzen ziehen; die Freiheit von Kunst und Wissenschaft fordern und dafür einstehen, für das Gemeinwohl arbeiten – das sind einige unserer zentralen Aufgaben heute. Gerade vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in Amerika, aber auch in Europa und in Deutschland, ist eine engagierte und vernunftgeleitete Zivilgesellschaft unerlässlich.
Konkret finde ich, dass wir als Bündnis noch sichtbarer sein sollten – besonders in der Innenstadt, denn sie ist der zentrale Ort, an dem ganz unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen. Innenstädte haben eine lange europäische Tradition der gesellschaftlichen Verständigung, aber ich nehme wahr, dass dort auch Spannungen existieren. Unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen bewegen sich oft in getrennten Räumen. Als Bündnis könnten wir dazu beitragen, diese Grenzen zu überwinden und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen wieder stärker zusammenzubringen. Durch unsere Vielfalt und die verschiedenen Zielgruppen, die wir ansprechen, können wir als Plattform und Multiplikator für die Stadtgesellschaft fungieren.

Karlsruher Stimmen
Das Interview führte Stefanie Wally im März 2025. In der Reihe „Karlsruher Stimmen“ lässt das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte Karlsruhe Personen aus der Region zu Wort kommen, die aus einem ganz persönlichen Blickwinkel auf Demokratie und Menschenrechte schauen. Hier ist Platz für Meinungen und Diskussionen sind ausdrücklich erwünscht. Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner eint der gemeinsame Einsatz für unsere Demokratie und die unumstößlichen Menschenrechte.