Zusammenhalt heißt Hinschauen

Karlsruher Stimmen I Demokratie und Menschenrechte im Gespräch

Anne Haab über vorgegaukelte Sachlichkeit, ungesehene Menschen und Gemeinschaft als Medizin

Zur Person

Anne Haab ist Pastoralreferentin und arbeitet als Klinikseelsorgerin bei den Karlsruher ViDia Kliniken. Ehrenamtlich ist sie im Lions Club Karlsruhe-Mitte engagiert und stand diesem 2021/22 als Präsidentin vor.

Frau Haab, was sind die Aufgaben einer Klinikseelsorgerin?

Ich bin für drei Aufgabenbereiche zuständig. Das sind die Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen und die Mitarbeitenden in unserem Haus. Wir unterstützen, wenn es schwierig und existenziell wird, zum Beispiel bei Diagnosen und rund um Behandlungen. Ich halte darüber hinaus hin und wieder Gottesdienst und unterrichte auch in der Krankenpflegeschule. Ein Schwerpunkt von mir ist die Arbeit mit Sterneneltern, deren Kinder vor, während oder kurz nach der Geburt verstorben sind. Ich habe für diese Menschen in Ausnahmesituationen keine Antworten, aber ich kann sie begleiten und da sein.

Alles Situationen, in denen es an den Kern von Menschlichkeit rangeht.

Ich glaube, dass wir uns im Leben Sachlichkeit ganz oft nur vorgaukeln. Das Leben ist emotional und von Beziehungen geprägt. Wenn Menschen mitten aus dem Leben herausgerissen werden, stellt man sich immer die Frage des Warums. Das ist menschlich.

Im Ehrenamt sind Sie, Frau Haab, im Lions Club Karlsruhe-Mitte engagiert. Was verbindet dieses ehrenamtliche Engagement mit ihrem beruflichen Hintergrund?

Das ist der Dienst am Menschen, der Dienst am Gemeinsamen. Das betrifft meine christliche Prägung, meine Arbeit in der Klinik und mein Ehrenamt im Lions Club, dessen Motto übrigens lautet: „we serve“.

Was bedeutet für Sie vor diesem Hintergrund Zusammenhalt in unserer Gesellschaft?

Zusammenhalt heißt für mich Hinschauen. Hinschauen, was ist. Mit offenen Augen und Ohren durchs Leben gehen und dann überlegen, was jemand braucht und wie das ermöglicht werden kann.

Als Lions Club nehmen wir Menschen in den Blick, die am Rand unserer Gesellschaft stehen, beispielsweise um „Schattenkinder“. Schattenkinder sind für uns Kinder, die von unserer Gesellschaft aktuell nicht gesehen werden. Kinder, die morgens vielleicht nicht geweckt werden, um in die Schule zu gehen. Oder solche, die lebensbegrenzend erkrankt sind. Auch der Zugang zu Kultur und Demokratie treibt uns um.

Wie sieht dazu ein konkretes Projekt aus?

In unserem ganz aktuellen Jugend-Demokratieprojekt hat eines unserer Mitglieder, der Filmemacher ist, einen VR-Film gedreht, in welchem Jugendliche selbst Teil einer fiktiven Geschichte über einen korrupten Bürgermeister werden und den Ausgang interaktiv beeinflussen können. Das ist ein Riesenerfolg gerade und zeigt, dass Demokratie einfach die Basis unserer Gesellschaft ist. Wir haben Rechte und gleichzeitig Pflichten, damit das so weitergehen kann. Demokratie fördern heißt, sich für die Gemeinschaft einsetzen!

Gemeinschaft – eine Medizin gegen Politikverdrossenheit?

Absolut! Alte, kranke und einsame Menschen haben meiner Erfahrung nach nicht dieselben Möglichkeiten wie wir, an Demokratie teilzuhaben.

Der Lions Club Karlsruhe-Mitte hat sich dem Karlsruher Bündnis für Demokratie und Menschenrechte angeschlossen. Warum?

Es war uns wichtig, dass wir in einem Bündnis mitwirken, das sich für etwas ausspricht und nicht gegen etwas. Und getreu unserem Motto betrachten wir die demokratischen Werte und die Menschenrechte als Grundlage unseres Zusammenseins.

Für mich persönlich ist Artikel 1 des Grundgesetzes etwas ganz Wichtiges. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt hier in der Klinik, das gilt im Ehrenamt, das gilt im sonstigen Privatleben. Dass wir Menschen so akzeptieren, wie sie sind, ohne Wenn und Aber und in allen Lebensphasen.

Das Weihnachtsfest und der Jahreswechsel stehen vor der Tür. Was ist ihr Wunsch für Karlsruhe zu diesem Anlass?

Gute, demokratische Wahlen im nächsten Jahr und eine Stadtgesellschaft, in der Frieden, Freiheit und Zusammenhalt wirklich gelebt werden. Unsere Demokratie besteht ja nicht nur aus einer homogenen Gruppe, sondern aus ganz vielen kleinen, die Werte teilen und miteinander unterwegs sind. Wie in unserem Krankenhaus hier. Wir haben rund 3.300 Mitarbeitende. Es ist diese Wertehaltung, diese Offenheit und das Aufeinanderzugehen, auf das es ankommt.


Karlsruher Stimmen

Das Interview führte Luca Wernert im Dezember 2024. In der Reihe Karlsruher Stimmen lässt das Bündnis für Demokratie und Menschenrechte Karlsruhe Personen aus der Region zu Wort kommen, die aus einem ganz persönlichen Blickwinkel auf Demokratie und Menschenrechte schauen. Hier ist Platz für Meinungen und Diskussionen sind ausdrücklich erwünscht. Alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner eint der gemeinsame Einsatz für unsere Demokratie und die unumstößlichen Menschenrechte.